Augenzeugenbericht eines britischen Fotografen zu den Lynchmorden in Ramallah im Oktober 2000
Mark Seager, 29, ein britischer Fotograf, arbeitet an einer
Bilddokumentation über palästinensische Flüchtlinge,
als er sich selbst
inmitten des schrecklichen Lynchens der beiden israelischen
Armee-Reservisten in Ramallah wiederfand. Als einzig anwesender
Journalist wollte er das Foto schießen, das ihm ein Vermögen
verdient
hätte, doch die Menge drehte sich in einem extremen Haß
um zu ihm und
zerstörte seine Kamera, so daß er um sein Leben fürchtete.
Hier ist sein
Augenzeugenbericht:
Ich kam ungefähr um 10:30 Uhr in Ramallah an und wollte
mit einem Taxi
auf der Hauptstraße nach Nablus fahren, wo eine Beerdigung stattfinden
sollte, die ich aufnehmen wollte. Ganz plötzlich kam eine große
Menge
Palästinenser schreiend den Hügel von der Polizeistation
herunter
gelaufen. Ich stieg aus dem Auto, um zu sehen, was los war und erkannte,
daß sie etwas hinter sich her zogen. Innerhalb eines Moments
waren sie
direkt vor mir, und zu meinem Horror sah ich, es war ein Körper,
ein
Mann, den sie an den Füßen zogen. Der untere Teil seines
Körpers brannte
und auf den Oberkörper war geschossen worden, und der Kopf war
so
schlimm geschlagen worden, daß er wie ein Brei [„pulp“]
war, wie rotes
Gelee [„jelly“].
Ich dachte, er war Soldat, weil ich die Überreste einer
Khaki-Hose
sowie Stiefel sehen konnte. Mein GOTT dachte ich, sie haben diesen
Kerl
getötet. Er war tot, er mußte tot gewesen sein, aber sie
haben ihn immer
noch geschlagen, wie Verrückte, seinen Kopf kickten sie. Sie waren
wie
Tiere. Sie waren nur ein paar Schritte entfernt von mir, ich konnte
alles sehen und instinktiv nahm ich meine Kamera. Ich komponierte das
Foto als ich von einem Palästinenser ins Gesicht geschlagen wurde.
Ein
andere zeigte auf mich und schrie: „Keine Fotos, keine Fotos!“, während
ein dritter Typ mir ins Gesicht schlug und sagte: „Gib mir Deinen
Film!“. Ich versuchte den Film herauszuholen, aber alle grapschten
an
mir herum, dann riß ein Typ die Kamera weg und zerschmetterte
sie auf
dem Boden. Ich wußte, die Gelegenheit für die Aufnahme eines
Fotos, das
mich berühmt machen würde, war vorbei. Ich verlor mein
Lieblingsobjektiv, das ich schon auf der ganzen Welt benutzt habe,
aber
das war mir egal. Ich hatte Angst um mein Leben. Parallel dazu wurde
der
Mann, der wie ein Soldat aussah, weiter geschlagen und die Menge wurde
immer wütender und wütender, sie schrien „allah akbar“ gott
ist groß.
Sie zogen den toten Mann durch die Straßen wie eine Katze mit
einer Maus
spielt. Dies war das Schlimmste, was ich je gesehen habe, und ich habe
vom Kongo, Kosovo und vielen anderen schlimmen Orten berichtet. Im
Kosovo habe ich gesehen, wie Serben einen Albaner geschlagen haben,
aber
das war mit diesem hier nicht zu vergleichen. Da war so viel Haß,
ein
solch unglaublicher Haß und Wut, die ihre Gesichter verzerrte.
Das
schlechteste Ding war zu erkennen, daß die Wut, die sie auf mich
richteten, die gleiche war, die sie zuvor gegen den Soldaten hatten,
den
sie von der Polizeistation hergezogen und getötet hatten. Irgendwie
entkam ich und rannte und rannte, ohne zu wissen, wohin. Ich sah den
anderen Mann, den sie getötet hatten, den sie aus dem Fenster
geworfen
hatten, nicht.
Ich dachte, ich hätte die Palästinenser gut kennengelernt.
Ich habe in
diesem Jahr 6 Reisen dorthin gemacht war in den letzten 16 Tagen täglich
in Ramallah. Ich dachte sie seien freundliche und gastfreundliche
Menschen. Ich weiß, sie sind nicht alle wie jene und ich bin
eine sehr
vergebungsbereite Person, aber dies werde ich nie vergessen. Es war
Ermordung der allerbarbarischsten Art. Wenn ich darüber nachsinne,
sehe
ich den Kopf des Mannes, alles zerschmettert. Ich weiß, ich werde
bis
zum Ende meines Lebens Alpträume haben.
Als ich in jener Nacht nach Jerusalem zurückkam, fand ich
heraus, daß
ich der einzige Fotograf dort war. Die Leute fragten mich andauernd,
ob
ich Fotos gemacht hätte, denn dann hätte ich mir ja einen
Namen gemacht.
Ich war schockiert, daß ich erstmals nicht meine Freundin in
West-London
angerufen hatte, die im 5. Monat mit unserem ersten Kind schwanger
ist.
Natürlich war sie sehr besorgt, weil sie im Fernsehen gesehen
hatte, was
geschehen war und sie wußte, daß ich in Ramallah war und
nicht angerufen
hatte. Sie war erschrocken und fragte, als ich sie am nächsten
Tag
sprach: „Hast Du es gesehen?“. Ich bejahte, konnte aber nicht weiter
darüber sprechen. Danach hörte ich sogar noch schlimmere
Details wie die
Sache mit der Frau des einen Soldaten, die per Handy wissen wollte,
ob
alles in Ordnung war. Man sagte ihr, daß man ihn gerade ermordet
hatte.
Von dem was ich sah, kann ich dies glauben. Ich liebe dieses Land,
ich
würde nichts lieber sehen wollen, als daß Israelis und Palästinenser
gemeinsam eine Wasserpfeife rauchen würden, aber nach dem Haß,
den ich
in den vergangenen Tagen gesehen habe, glaube ich nicht, daß
dies in
meinem Leben geschehen wird. Schaut nur, seit vielen Jahren laufen
die
Friedensgespräche – seit 1993. Dann, innerhalb von zwei Wochen,
gehen
sie einander an die Gurgeln. Es scheint einfacher sein, zu hassen als
zu
vergeben.“
Mark Seager war der einzige Pressephotograph, welcher am 11.Oktober
das Lynchen von einem der zwei israelischen Soldaten beobachtete. Seinen
Bericht hat er vor wenigen Tagen in der englischen Zeitung The Suday Telegraph
veröffentlicht.