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Tageszeitung "Freie Presse" vom 14.03.02 Kirchenstreit um das Heilige Land
Von Hartmut Petersohn
In hitziger Debatte um den NahostKonflikt sprechen sich deutsche
Theologen gegenseitig Bibelkenntnis ab
Chemnitz. Lange wurde der Streit in der Kirche intern geführt. Nun drängen
die Parteien an die Öffentlichkeit. "Wir haben wieder einmal zu lange
geschwiegen", mahnte Jürgen Blunck, die Leser des evangelischen Magazins
"idea". Blunck sprach die geschichtsträchtigen Worte als "Freund
Israels" von Essen aus.
Der Sprecher des rheinischen biblischmissionarischen Kirchenverbundes
kritisiert den israelischen Premier Ariel Scharon für die
Vergeltungsschläge gegen palästinensische Städte und bedauert, dass der
Staatschef "unerbittlich den Weg militärischer Gewalt" gehe. Und dann
fragt Blunck, welches Bild von Gott Israel der Welt präsentiere und
antwortet gleich selbst: "Das Bild eines rachsüchtigen, brutalen,
internationales Recht veachtenden Gottes."
Auf die Reaktion musste der Essener Theologe nicht lange warten. Sie
erreichte ihn postwendend aus Dresden: "Mit solchen Freunden braucht
Israel keine Feinde mehr." Lothar E. Klein, der den "Sächsischen
Israelfreunden" vorsteht, hatte mit scharfen Worten geantwortet. Auch ein
Chemnitzer Freund Israels handelte prompt: Winfried Amelung, Pfarrer im
Ruhestand, bestellte das Magazin idea gleich nach Erscheinen des
BlunckKommentars unter der Überschrift: "Der Irrweg Ariel Sharons" ab.
Amelung, Widerständler aus DDRZeiten und seit zehn Jahren treuer Leser
der ideaPostille reichte es. Mit dem "Bluncker Unsinn" war für ihn das
Maß inkompetenter Berichterstattung über Israel voll.
Aber nicht nur sächsische Christenmenschen laufen Sturm gegen die von
ihnen beobachtete PalästinenserNähe ihrer Kirche oder einiger Medien und
Nachrichtenagenturen. Die ideaRedakteure berichten von einer "Fülle von
Leserbriefen". "Bis auf einen" hätten alle den BlunckerKommentar
kritisiert. An das nächste Heft müssen zwei Sonderseiten angehangen
werden, wie die "Freie Presse" erfuhr.
Nur das Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) scheint
die Botschaft aus den Reihen ihrer Mitglieder noch nicht erreicht zu
haben. In dem Bemühen, weder Partei für die Israelis noch die
Palästinenser zu nehmen, hatte die 9. Synode der Kirche einen
Forderungskatalog aufgestellt, der vor allem ein Einlenken Israels
verlangt: Beendigung der Besatzung palästinensischer Gebiete, Stopp des
Siedlungsprogramms, Lösung des Problemes der palästinensischen Flüchlinge,
Klärung des Status von Jerusalem. Damit setzte sich die Kirchenleitung
zwischen alle Stühle. Der Versuch der Synodalen, eine neutrale Haltung
einzunehmen, werde gerade "dadurch enorm einseitig", erkannten die
"Israelfreunde" in den Reihen der evangelischen Kirche.
Der Krieg im Heiligen Land hat die Kirche in Deutschland erreicht. Es wird
mit harten Worten gekämpft. In Ost und West. Aus Nordrhein Westfalen
wettert Theologe Johannes Vogel: "Was sich Pfarrer Blunck mit diesem
Artikel erlaubt hat, übertrifft alles!" Vogel, gerade aus Israel
zurückgekommen, empfahl dem für ihn falschen Israelfreund Bluncker, einmal
für ein Jahrmit seiner Familie ins Heiligen Land zu ziehen, am besten
dorthin, "wo täglich Bomben hochgehen". Und dann stellt er gleich noch
Bluncks theologische Kompetenz in Frage: "Hat er seine Bibel nicht
gelesen?"
Nicht weniger grundsätzlich reagierte Glaubensbruder HansChristoph
Gensichen, der sich wie Vogelvom Ruhrgebiet aus in die heftige Debatte
einmischt. Gensichen bemüht die biblische Geschichte und kritisiert
Kommentator Blunck, er sei im Unrecht, wenn er von Israel verlange, sich
so zu verhalten wie Jesus es in der Bergpredigt vom bekennenden Christen
erwarte. Das hieße, dem Heiligen Land "den Selbstmord zu empfehlen".
Zu den Theologen aus dem Ruhrgebiet und den sächsischen Israelfreunden
stellt sich auch Friedbert Richter, ein pensionierter Pfarrer ebenfalls
aus den ostdeutschen Bundesländern. Richter hat kenzeichnend in diesem
Streit um eine gerechte Beurteilung des NahostKonflikts von der Kirche
aus mehr Fragen als Antworten. Seine zentrale Frage lautet: "Soll denn
Israels Regierung tatenlos zusehen, wie tagtäglich auf seinem Staatsgebiet
aus dem Hinterland wehrlose Männer, Frauen und Kinder erschossen werden
und die Teile der durch Bombenattentate zerfetzten Leiber von den
Haltestellen und Märkten zusammengelesen werden müssen?" Am Ende seiner
Wortmeldung ProIsrael äußert der Pfarrer in Rente noch eine Bitte: In das
Gebet für Israel und seine Regierung sollten "die vielen Palästinenser,
die unter Arafat und seiner Intifada leiden" eingeschlossen sein.
Wird den ProIsraeliten auch der Zuspruch durch ihre Kirchenleitung
versagt, fühlen sie sich auch von den Medien verunglimpft, fand sich doch
inzwischen ein mächtiger Verbündeter. Am Dienstag dieser Woche titelte
nach dem blutigen Attentat in Jerusalem die "Bild"Zeitung: "Wir weinen
mit Israel." Und auf der nächsten Seite vertiefte BildKommentator Jörg
Quoos: "Arafats verdeckte Truppen" hätten Israel mit "ihren Nagelbomben
einen schmutzigen Krieg erklärt", der sich nicht gegen den jüdischen Staat
richte, "sondern gegen das Herz Israel, sein Volk, seine Kinder". Wer
diesen Unterschied nicht mache, erklärt "Bild", verschließe "die Augen
vor der blutigen Wahrheit in Nahost".
Den vorerst letzten Schlag im Wortgefecht der innerkirchlichen
Auseinandersetzungen um die richtige Haltung im anhaltend grausamen Krieg
in Israel führte Christoph A. Zörb. Den von Pfarrer Blunck beschriebenen
"Irrweg Ariel Sharons" konterte Zörb, Chefredakteur des
Internetinformationsdienstes "Israelnetz", in seinem Gegenkommentar mit
der Überschrift: "Der richtige Weg Ariel Sharons." Zörb habe, im
Gegensatz zu Blunck, keinen Israeli "arrogant und hart" erlebt. Ihm sei
im Heiligen Land immer nur die besorgte Frage: Wie finden wir einen Weg
der Koexistenz mit unseren palästinensischen Nachbarn?
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