Israel-Grundkurs
|
.
2c) Die jüdischen Wurzeln des christlichen
Glaubens
Ein Beispiel: was haben die jüdischen Feste mit uns Christen zu
tun?
Im Jahr 2000 fielen ausnahmsweise Ostern und Pessach zusammen - das geschieht
sonst nicht häufig (Juden haben einen Mondkalender, Christen einen Sonnenkalender).
Ursprünglich lagen jedoch der Termin des Oster- und Pessach-Festes
zusammen, sie wurden aber von der Kirche auseinandergelegt, um jede Erinnerung
an die jüdischen Wurzeln auszumerzen. Beim Konzil von Nicäa
325 wurde das Osterfest vom jüdischen Passah-Termin auf den Sonntag,
der nach dem ersten Vollmond nach der Frühjahrssonnwende folgt, gelegt.
"Denn es wäre ausser jedem Maßstab ungebührlich, wenn wir
in dem heiligsten aller Feste den Gewohnheiten der Juden nachfolgten. Lasst
uns nichts gemeinsam haben mit dem abscheulichen Volk." (Aus dem Brief
von Kaiser Konstantin, zit. in Eusebius, Vita Const., Lib. III 18-20
).
Es ist jedoch so, dass die jüdischen Feste viel mit den christlichen
zu tun haben:
Jesus in den jüdischen Festen
Jesu erstes Kommen
Jüdische Feste |
Jesu Leben |
PASSAH |
JESU TOD |
Fest der UNGESÄUERTEN BROTE |
JESU GRABLEGUNG |
Fest der ERSTLINGSFRÜCHTE
(Sonntag nach Passah) |
JESU AUFERSTEHUNG 1Kor
15,20 |
WOCHENFEST(Schawuoth) |
PFINGSTEN
. |
Jesu Wiederkunft
TAG DES POSAUNENBLASENS
(Neujahr) |
JESU WIEDERKUNFT 1.Thess
4,16 |
GROSSER VERSÖHNUNGSTAG
(Yom Kippur) |
ERRETTUNG ISRAELS Römer
11,26 |
LAUBHÜTTENFEST(Sukkoth) |
MESSIAN. REICH / ERNTE DER NATIONEN
Hütte Gottes bei den Menschen Offb 21,3; Ernte und Wallfahrt der Nationen.
Sach 14,16 |
Schmini Azeret = Tag der großen Festversammlung |
Grosse Festversammlung im Himmel (Hebräer 12,23) |
.
Passah-Fest: Jesus starb während des jüdischen Passah-Festes
(Mt 26,2), wo die Passah-Lämmer zur Sühne geschlachtet wurden. Johannes
sagte über ihn "Siehe das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt!"
(Joh. 1,36).
Fest der ungesäuerten Brote: es begann am Tag nach Passah, und
die Juden mussten allen Sauerteig aus ihren Häusern entfernen. Geistliche
Bedeutung: Sie mussten das alte Leben Ägyptens hinter sich lassen vor
der Einnahme des verheißenen Landes. Jesus wirkte im Umfeld dieses
Festes (Johannes 6,4 "es war aber das Passah nahe") das Brotvermehrungswunder
und sagte: "Ich bin das Brot des Lebens, wer an mich glaubt, den wird
nicht hungern" (Vers 35). Er wurde während dieses Festes begraben. Er
nahm all unser altes Leben, unseren "Sauerteig" auf sich.
Fest der Erstlingsfrüchte: am ersten Tag nach dem Sabbat innerhalb
des Festes der ungesäuerten Brote mussten die Priester Erstlingsfrüchte
schwingen. Genau zu Beginn dieses Festtages erstand Jesus von den Toten als
der "Erstling aus den Toten", wie 1.Korinther 15,20 sagt.
Wochenfest: findet 50 Tage nach Passah statt, die Gabe der Tora am
Sinai wird hier gefeiert. Der Heilige Geist fiel genau an diesem Festtag auf
die Jünger Jesu und schrieb die Tora, das Gesetz Gottes, gemäss
der Verheißung in ihre Herzen (Hesekiel 36,26) und gründete die
Gemeinde.
Nach diesen Frühjahrsfesten ist eine lange und dürre Sommerpause
- Israel war nach Pfingsten fast 2000 Jahre in der Verbannung. Die restlichen
Feste, die im Herbst stattfinden, weisen auf die Zukunft - der Tag des
Posaunenblasens (Neujahr) auf die letzte Posaune (1. Thessalonicher 4,16),
der große Versöhnungstag, wo alle Busse tun, auf die verheißene
Errettung ganz Israels (Röm 11,26) und Laubhüttenfest auf
das messianische Reich, in dem alle Nationen zu ebendiesem Fest nach Jerusalem
pilgern werden (Sacharja 14,16). Das Reich Jesu wird in der Bibel "Hütte
Davids" genannt (Amos 9,11). Jesus wird wiederkommen und die Hütte Gottes
wird unter dem Menschen sein: "Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron
her sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei
ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er wird bei ihnen wohnen
(wörtlich "zelten")." (Offb 21,3). Doch schon jetzt ist das Reich Gottes
in den Gläubigen: Während des Laubhütten-Festes wurde um Regen
gebetet und Wasser aus dem Teich Siloah geschöpft. Jesus sagte auf diesem
Fest: "Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen
Wassers fließen. Dies sagte er von dem Geist, den die empfangen sollten,
die an ihn glaubten" (Johannes 7,37). Der letzte Tag des Laubhüttenfestes,
Schmini Azeret (3.Mose 23,36), ist der "Tag der grossen Festversammlung".
Azeret heißt auf deutsch anhalten oder stoppen. Schmini Azeret ist
das achte Fest, acht ist die Zahl der Ewigkeit. Dieser letzte jüdische
Feiertag deutet voraus auf die endgültige himmlische Festversammlung,
von der der Hebräerbrief 12,22-23 spricht.
Einführung
Wie dieser Vergleich der Feste anschaulich zeigt, liegen unsere Wurzeln im
jüdischen Volk - es gibt nichts, das wir als Christen empfangen haben,
was wir nicht durch Juden empfangen haben. Jesus war und ist seiner irdischen
Herkunft her Jude, das Neue Testament ist von Juden geschrieben, das Evangelium
wurde von Juden den Heiden gepredigt.
Paulus beschreibt in Römer 11,16ff. die Beziehung der Christen
zu Israel mit einem Ölbaum. Wir sind als Nicht-Juden eingepfropft in
den Ölbaum Israel und dürfen die Verbindung zur Wurzel nicht verlieren.
Die Wurzel ist nicht das heutige Israel, das geistlich in einem eher bedenklichen
Zustand ist. Die Wurzel ist das, was Gott in Israel gelegt hat, das Israel,
das Gottes Willen tut. Die Wurzeln des Baumes sind die Patriarchen, insbesondere
der Glaube Abrahams. Wir sind Zweige, wir sind im Neuen Bund und dürfen
auch nicht bei der Wurzel stehen bleiben, aber die Verbindung zur Wurzel
ist sehr wichtig. Nur eingewurzelt können wir in diesen letzten Tagen
feststehen in Gottes Wort und Frucht bringen zur Ehre Gottes. Die Bibel sagt,
dass in den letzten Tagen viele Täuschungen und Winde von falschen Lehren
gegen die Gemeinde wehen würden - um so wichtiger ist es, fest verwurzelt
zu sein! Die Kirchengeschichte zeigt, dass immer, wo ein Teil der Kirche
sich von seinen jüdischen Wurzeln gelöst hat, in einer bestimmten
Weise ein Defizit entstanden ist. In das dadurch entstandene geistliche Vakuum
sind unter anderem menschliche Traditionen, Heidentum und Hellenismus (griechische
Philosophie) eingedrungen. Deshalb soll im folgenden griechisches Denken,
das uns im Abendland sehr prägt, und hebräisches Denken, von dem
die Kirche sich oft gelöst hat, verglichen werden. Dabei geht es nicht
nur um geschichtliche und kulturelle Studien, vielmehr hat das Thema "jüdische
Wurzeln" sehr viel mit unserem Alltagsleben zu tun. Es will uns verändern,
dass wir Jesus ähnlicher werden und mehr Frucht bringen zur Ehre Gottes.
In Apostelgeschichte 26,14 schildert Paulus, wie Jesus ihn auf dem Weg nach
Damaskus vom Himmel her in "hebräischer Mundart" ansprach. Jesus hätte
ihn auch auf griechisch oder der damals üblichen Umgangssprache aramäisch
ansprechen können. Er sprach aber hebräisch!
Griechisches und Hebräisches Denken
1. Dualismus oder dynamische Einheit?
Unsere westliche und christliche Gesellschaft hat sich durch Plato und andere
griechische Denker einen Dualismus angeeignet, der die kirchliche Theologie
stark beeinflusst hat. Plato vertrat die Ansicht, dass es zwei Welten gibt:
eine sichtbare, materielle Welt und eine unsichtbare, geistige Welt. Diese
beiden Welten sind nach Platons Anschauung in Spannung gegeneinander, und
die materielle ist der geistigen untergeordnet. Die menschliche Seele kam
aus der geistigen Welt, aus der sie in die irdische fiel und jetzt im Gefängnis
des materiellen Körpers sitzt. Erst der Tod bringt die Befreiung. Origines,
einer der Kirchenväter mit dem größten Einfluss auf die kirchliche
Theologie, war platonischer Philosoph der Schule Alexandriens. [
Folie Thomas von Aquin
]
Anders als die Griechen sahen die Hebräer die Welt
als gut an. Obwohl sie gefallen und unerlöst ist, so ist sie doch Gottes
gute Schöpfung. Anstatt der Welt zu fliehen, erlebt der Mensch Gottes
Gemeinschaft, Liebe und Errettungstaten inmitten der geschichtlichen Ordnung
innerhalb der Welt. Das hebräische Denken kennt weder einen kosmologischen
Dualismus (geschaffene Welt als böse und der geistlichen Welt entgegengesetzt)
noch einen anthropologischen Dualismus (Seele gegen Geist). Der Mensch ist
nach hebräischem Denken eine dynamische Einheit von Seele und Körper
und soll mit seiner ganzen Existenz Gott dienen. Der Körper ist nicht
in sich gut oder schlecht, sondern es geht darum, ob er Gott untergeordnet
ist und dient oder nicht.
In den ersten Jahrhunderten hat sich die Kirche in vielen Teilen von ihren
jüdischen Wurzeln getrennt. Deshalb konnten in das entstandene Vakuum
fremde Weltanschauungen einströmen, z. B. die griechische Philosophie.
Zölibat
Vom griechischen Dualismus her lässt sich die Einführung
des Mönchtums und die des Zölibats im katholischen Priesteramt verstehen.
Diese Einrichtung ist völlig unbiblisch. Nach der Bibel ist die Ehelosigkeit
eine Frage der Berufung und nicht die des Berufes (Priester). Die Ehe ist
nach biblischer Anschauung eine von Gott eingerichtete, heilige Institution
(1Tim 4,3-4). Die Vorstellung von der Ehe wurde in der Kirche so wirr, dass
Augustinus behaupten konnte, die hebräischen Patriarchen hätten
nur zur Fortpflanzung mit ihren Frauen verkehrt. Maria wurde zur ewigen Jungfrau
erklärt. Die Kinder, die sie nach Jesus bekam, wurden uminterpretiert
in Vettern oder Kinder einer früheren Ehe von Josef. Die ewig jungfräuliche
Maria musste schließlich in den Himmel aufsteigen, denn Marias Körper
musste von Tod und Verwesung ferngehalten werden. Es ging nicht, dass das
Heilige irgend etwas mit dieser Welt zu tun hat.
Askese
Der griechische Dualismus brachte in der Kirche eine starke Betonung
auf Askese mit sich. Diäten, selbstauferlegte Stille, Rückzug in
die Wüste, Verherrlichung von Härte - der Genuss irdischer Dinge
wird verleugnet zugunsten der Tötung des Fleisches. Nach Hebräischem
Denken kommen alle Dinge auf der Erde und im Himmel von der Hand Gottes alleine
(Jes 44,24) und können genossen werden - natürlich in Verantwortung,
ohne dass die Dinge zu einer Konkurrenz für Gott werden (Götzen).
Paulus verurteilt die Lehre "iss das nicht, rühre dies nicht an" (Kol
2,21).
2. Vergeistigung oder mit beiden Füßen auf der Erde?
Nicht nur die katholische Kirche hat Schaden erlitten (sie hat natürlich
daneben auch viel gutes bewahrt!!) - der evangelischen bzw. protestantischen
Kirche erging es ähnlich. Der Reformator Martin Luther wandte sich, vor
allem in der letzten Phase seines Lebens, scharf gegen die Juden. Auch die
evangelische Kirche löste sich so ein Stück weit von ihren jüdischen
Wurzeln.
In diesem Sinne schreibt der Tübinger Theologe Prof. Martin
Hengel: "Es entspricht einer protestantischen Tendenz in Deutschland seit
der Aufklärung, den Graben zwischen Altem und Neuem Testament möglichst
breit zu machen. Verbunden wurde damit häufig eine schroffe Abgrenzung
gegenüber aller jüdischen Überlieferung, mit der uns eben
das Alte Testament als die "hebräische Bibel" verbindet. Die Folgen
dieser Entwicklung sind bekannt". (Schwäbisches Tagblatt vom 3.3.2000).
Den gewonnenen Freiraum nahm u.a. das griechische Denken und
der griechische Dualismus ein - diesmal in anderer Form als in der katholischen
Kirche: Luther, vor allem jedoch seine Nachfolger, wandten sich gegen eine
Werkgerechtigkeit. Ihr Verständnis vom Glauben verlor dabei hebräische
Züge und nahm griechische an, indem der Glauben zu einer rein intellektuellen
Angelegenheit wurde:
Glauben
Für viele Christen bedeutet Glaube eine Aktivität des Intellekts,
ein intellektuelles Fürwahrhalten, Ja-Sagen zu einer Sache oder zu Dogmen.
Glaube hat also mehr mit dem Intellekt, der "geistigen" Welt zu tun, als
mit der natürlichen, der irdisch-praktischen. Gerade die Evangelischen
und Protestanten sind stark geprägt von der Prioritätensetzung:
Glaubensbekenntnis vor Lebensführung, Dogma vor guten Taten.
Die hebräische Vorstellung vom Glauben ist vielschichtiger.
Das zeigt schon das hebräische Wort für Glaube, "emuna", von dem
auch das Wort "Amen" herrührt. Beispiele:
- als Mose seine Arme erhob, um Israels Kampf gegen die Amalekiter zu
unterstützen und Aaron und Hur seine Hände unterstützten,
da heißt es: Seine Hände blieben "emuna", also "fest" (2Mo 17,12).
- Das Wort "emuna" wird auch von Gott gebraucht und bezeichnet seine
Vertrauenswürdigkeit.
- Habakuk sagte: "Der Gerechte wird aus Glauben leben" (2,4). Das Volk
Israel stand zur Zeit Habakuks vor sehr schwierigen Zeiten, und es bedurfte
einer Haltung, die sich völlig auf Gott verließ und stützte.
Glaube heißt Vertrauen. Für das Hebräische Denken bedeutet
Glaube mehr als ein Fürwahrhalten im Herzen oder der Besitz einer Haltung
des Vertrauens - der Glaubensmensch tritt auch hinaus ins Leben, um auf der
Grundlage dieses Glaubens zu handeln. Glauben heißt, sich im
Leben nach vorne zu bewegen und zu wissen, dass Gott dort wartet. Hebräer
11,1ff. vermittelt die hebräische Glaubensweise sehr gut.
Jesus brachte seinen Jüngern das Vaterunser bei. Die erste
Bitte darin lautet: "jitkadesch schimcha" - "geheiligt werde dein Name!"
Jesus lebte in der grundsätzlichen jüdischen Anschauung: durch
unseren Wandel, unser Verhalten ehren wir Gott. Nicht durch den Glauben an
Dogmen, sondern durch den, wie es Paulus ausdrückt, "in der Liebe
tätigen Glauben" (Galater 5,6).
Deshalb geht es auch beim Thema "Israel" und "jüdische Wurzeln"
nicht darum, wie viel Male wir schon in Israel waren. Es ist schön, wenn
wir dort waren, es ist schön, hebräische Lieder zu singen und den
Gebetsschal zu tragen - aber es geht eigentlich bei der Befassung mit den
jüdischen Wurzeln darum, in das Bild Christi umgewandelt zu werden,
zu wachsen in Jesus, damit wir mehr Frucht tragen. Dann nämlich wird
die Welt den Vater ehren, wenn sie seine Liebe in uns und unsere guten Taten
sieht.
Jenseitsbetonte Frömmigkeit
Aus dem griechischen Denken kommt auch eine einseitige jenseitsbetonte Frömmigkeit:
eine "geistliche" Person ist jemand, der seine Augen immer auf den Himmel
gerichtet hält, der sich auf die zukünftigen Freuden konzentriert.
Seelen für das Himmelreich zu gewinnen ist das einzige, was zählt.
Alle anderen Aktivitäten, die mehr die materiellen und sozialen Nöte
dieser Welt betreffen, sind völlig unwichtig.
Für den Hebräer dagegen ist der "geistliche" Mensch
robust, lebensbejahend und diesseitig orientiert. Errettung heißt nicht
nur geistliche Erlösung, sondern betrifft den ganzen Menschen, auch
seinen Körper und seine soziale Realität. In diesem Sinne sagt
Paulus: "Aber das Geistliche ist nicht zuerst, sondern das Natürliche,
danach das Geistliche" (1.Kor 15,46). Seine Anforderungslisten für Älteste
und Diakone beinhalten vor allem die natürlichen Dinge des Lebens: Ehe,
Kindererziehung, Weingenuss etc. (vgl. 1Tim 3)
Ein Beispiel: Die zu biblischen Zeiten lebenden Hebräer
sahen keinen Grund darin, Speisen oder materielle Dinge zu segnen. Noch heute
heißt das jüdische Gebet vor einer Mahlzeit: Gesegnet seist DU,
Herr unser Gott, der du das Brot aus der Erde hervorbringst." Wenn alles,
was Gott geschaffen hat, gut ist (1Mose 1,31), braucht es nicht als unheilig
angesehen werden. Sehr stark kommt dieser Sachverhalt in der katholischen
Eucharistie zum Tragen: Die Elemente der Eucharistie werden durch das Gebet
des Priesters in eine andere Substanz umgewandelt (Transubstantationslehre).
Eine wichtige Bemerkung: Mit dem Neuen Bund ist in Bezug auf das Natürliche
auch vieles neu geworden durch Jesu Heilswirken. Bei Israel ist die Betonung
des Natürlichen besonders stark. Wir als Christen sind hier in einigen
Bereichen nicht mehr so stark im Natürlichen: So ist unser Kampf als
Christen nicht mehr gegen Fleisch und Blut, also Menschen, wie es im alten
Israel war. Nun ist er nur noch gegen geistliche Mächte. Auch kann Hilfe
im natürlichen Bereich in keiner Weise mit der geistlichen Wiedergeburt
durch den Glauben an Jesus verglichen werden. Dennoch, auch wenn im Neuen
Bund oft eine stärkere Betonung auf dem Geistlichen als auf dem Natürlichen
liegt, ist unsere Wurzel eben in Israel mit dessen Betonung auf dem Natürlichen.
Wird diese Verbindung zur hebräischen Wurzel losgelassen, so können
wir in Teilen der Christenheit Tendenzen sehen, den natürlichen Aspekt
nun ganz zu vernachlässigen - wenn z.B. Gott nur noch als philosophisches
Diskussionsobjekt ferne in den Himmeln gesehen wird, nicht als ein Gott, der
konkret in die Menschheitsgeschichte und unsere persönliche Geschichte
eingreift. Oder es kann sich in einer falschen Sicht der Heilsgeschichte Israels
niederschlagen (Israel hat nur noch geistliche Verheißungen, keine
irdischen mehr). Wir sind Bürger einer anderen Welt, unser Bürgerrecht
ist im Himmel. Aber unsere Wurzel liegt in den Vätern Israels, im Glauben
Israels an einen Gott, der konkret inmitten dieser Welt und inmitten der
Geschichte wirkt. Unsere hebräische Wurzel zeigt uns, wie wichtig für
Gott auch die natürlichen Dinge sind - so sagt ja auch Jesus, dass,
wenn wir nicht mit dem Geld richtig umgehen können, uns Gott auch nicht
über geistliche Dinge setzen kann (Lukas 16,9-12.
Individualität statt Gemeinschaft:
Asketentum (griech. monazein = allein sein, in Einsamkeit leben) und moderner
Protestantismus bedeuten oft: jeder lebt für sich statt einer Gemeinschaft
verpflichtet. Hebräisches Denken betont dagegen stark das Kollektiv.
Jesus lehrte seine Jünger beten: "Unser Vater im Himmel". Die
Urchristen hatten alles gemeinsam (Apostelgesch. 2,44). Paulus beschreibt
die Kirche so: Sie ist ein Leib mit vielen Gliedern. Leidet einer, leiden
alle (1Kor 12).
Nicht denken, tun: ein energisches Volk
In unserem Denken kommt meist das Hauptwort zuerst, dann das Verb - z.B.
der König regiert. Im Hebräischen ist es umgekehrt: "Er regiert,
der König". Die Hebräer hatten einen handlungszentrierten Lebensstil
, was sich in ihrer Sprache widerspiegelt. Es gibt im Hebräischen sehr
wenige abstrakte Ausdrücke. Die Hebräer liebten das Konkrete, Lehrformulierungen
waren ihnen fremd. Ein heiliges Leben bestand für sie vor allem in einer
Beziehung, nicht einem Glaubensbekenntnis. Das erste Buch jüdischer
systematischer Theologie wurde erst im 12. Jahrhundert n.Chr.(!) geschrieben,
durch Maimonides. Die Kirchenväter des 2. -4 .Jahrhunderts dagegen schrieben
ganze Bibliotheken über Theologie.
Es kann hilfreich sein, die hebräische Sprache zu kennen.
So heißt das hebräische Wort für "Erbarmen" ("rächäm")
wörtlich "Gebärmutter, Mutterleib".
Paulus sagt: Die Predigt vom gekreuzigten Christus ist "den
Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit" (1Kor 1,23). Torheit
bezieht sich mehr auf das Denken, Ärgernis mehr auf das Handeln.
Lernen: Erkenntnis Gottes - Erkenne dich selbst
Erkenntnis Gottes (daat elohim) - erkenne dich selbst (gnothi seauton; Aufschrift
am Tempel von Delphi).
Das primäre Ziel der Erziehung in der Bibel war, die ganze Person
zu einem lebenslangen gehorsamen Dienst in der Erkenntnis Gottes zu führen
und zu trainieren. Ziel war es, in Heiligkeit zu leben - abgesondert für
Gott in jeder Dimension des Lebens.
Zentrum des Lehrens war das Zuhause und der Lehrer der Vater, der seine Kinder
in die Wege Gottes unterwies. Weiter waren Priester, Propheten und weise
Menschen für die Lehre zuständig.
Für die Hebräer war Weisheit nicht eine Information
über Fakten bzw. eine rein kognitive (intellektuelle) Angelegenheit,
sondern vielmehr, erlerntes Wissen in einem ganz spezifischen Lebensbereich
anzuwenden. Weisheit bestand in der Fähigkeit, alles und jedes
im Leben aus der Perspektive Gottes zu sehen: "Die Furcht des Herrn ist der
Anfang der Erkenntnis" (Spr 1,7). Weisheit hatte seine Quelle in Gott.
Für die westliche Welt ist die Vorstellung der Erkenntnis
oft begrenzt auf Definitionen, abstrakte Konzepte oder theoretische Prinzipien.
Für die Hebräische Welt dagegen heißt etwas "kennen", es zu
erfahren. Eine Person zu kennen, bedeutet, eine innige Beziehung
zu ihr zu haben. Das hebräische Wort für "kennen", "yada", heißt,
etwas zu begegnen, zu erfahren und auf innige Weise zu teilen. So heißt
es "Adam erkannte Eva": "yada" kann auch für die geschlechtliche Vereinigung
von Mann und Frau verwendet werden. Kennen, Wissen oder Lehren war für
den Hebräer also nicht nur eine intellektuelle Tätigkeit, sondern
auch eine emotionale und auch eine auf der ganz praktischen Handlungsebene.
Die griechische Denkweise hingegen geht vom Menschen aus und versucht die
Natur Gottes aus dem, was die Griechen die "höhere Natur des Menschen"
nennen, zu verstehen.
Die griechischen Lehrer unterwiesen ihre Schüler in intellektuellen,
technischen und körperlichen Bereichen wie Musik, Kunst, Literatur oder
Sport. Er entwickelte also ganz bestimmte Begabungen weiter in den Gebieten
wo der Schüler besonders begabt erschien. Er kümmerte sich dabei
weniger um die ganze Persönlichkeit des Schülers. In der griechischen
Welt konnten nur die reichen Schichten Erziehung genießen. Das griechische
Wort scholazo, von dem unser Wort "Schule" kommt, heißt übersetzt
"Freizeit haben, nichts zu tun haben". Im hebräischen gibt es kein Wort,
das dem griechischen scholazo entspricht. Es kann auch "faul sein"
heißen, "untätig", "müßig sein". Diesen Sinn hat es
vor allem für die Hebräer. Die aristotelische Idee, dass körperliche
Arbeit minderwertig gegenüber der geistigen und daher nur für Sklaven
ist, war den Hebräern völlig fremd. Jüdische Erziehung war
anders als die griechische für alle Menschen und für die ganze
Person da. Studieren war für Hebräer ein Akt der Anbetung, es war
zur Zeit Jesu sogar die höchste Form der Anbetung! Im Westen studieren
wir um zu begreifen, im Judentum um tiefer in die Furcht Gottes zu kommen.
Studium ist im Judentum nicht etwas, das man sich aneignet, sondern etwas,
das einen demütigt, das einen tiefer in eine innige Beziehung (mit Gott)
hineinführt.
In der hebräischen Lern-Weise zu lernen verbringen Studenten
und Rabbiner verbringen sehr viel Zeit miteinander, sind also in einer
Lebensgemeinschaft. Griechisches Lehren dagegen besteht mehr darin, akademisch
Wissen zu vermitteln. In der hebräischen Erziehung wird der ganze Mensch
gefördert (zu einem gottesfürchtigen Leben), in der griechischen
einzelne Gaben des Menschen.
Die formale Eigenart der beiden Denkarten:
Griechen sind "Augenmenschen", für sie hängt klares Denken vom
Sehvermögen ab. Plato hat der Geometrie eine fast metaphysische Bedeutung
zuerkannt: Durch Geometrie erkennt man das höchste irdische Sein und
ahnt das göttliche Sein. Was verstehen Griechen und Hebräer unter
"Wahrheit"? Für die Griechen ist Wahrheit das Unverhüllte, Klare,
das, was zu sehen ist. Das Wort "wahr" hängt im indogermanischen mit
dem Wort "sein" zusammen, in den nordischen Sprachen heißt "sann" "wahr".
Hebräisches Denken dagegen: "bin" = Verstehen, wörtlich
"trennen, scheiden", davon "bina" = Verstand. "Der Hebräer trennt das
Unwesentliche und Äußerliche von dem Wesentlichen und Wichtigen,
um den Kern der Sache zu finden..." (Boman, Das hebräische Denken, 178-179).
Das hebräische Wort für "sehen", "ra'a", will , dass
die sichtbaren Dinge ein Zeichen sind, die dem Betrachten die Eigenschaften
ihres Besitzers oder Bildners verraten. Ein Seher, "ro'ä", ist ein Gottesmann,
der das anderen Menschen Verborgene sieht. "Das griechische Denken ist klares,
logisches Erkennen, das israelitische ist reifes, psychologisches Verstehen"
(ebd.).
Wahr ist für den Griechen also das, was er sieht. Für
den Hebräer hingegen ist das Sichtbare nur ein Zeichen auf die Eigenschaften
dessen, der das Sichtbare gemacht hat. Wahrheit hat viel damit zu tun, das
Wesentliche vom Unwesentlichen und Äußerlichen zu unterscheiden.
Alter
In unserer Gesellschaft wird die Jugend verherrlicht. Allein die Werbung
suggeriert das: alles muss jung und schön sein. Wer alt ist, wird "wertlos".
Die Bibel dagegen sagt: "Ehre Vater und Mutter!" Die Bibel verschweigt das
hohe Alter von Menschen nicht und einige biblische Gestalten kommen erst
im hohen Alter in ihre Berufung und damit den Höhepunkt ihres Lebens.
Beispiel: Das Königreich Gottes
Als ein Beispiel für die hebräische Denkweise soll uns die Vorstellung
vom "Königreich Gottes" dienen. Jesus bringt seinen Jüngern mit
dem "Vaterunser" das Gebet bei. Darin heißt es: "Dein Reich komme".
Wenn Jesus vom Königreich Gottes bzw. dem Königreich der Himmel
spricht (hebr. "malchut schamaim"), so meint er damit nicht einen Regierungsbezirk
im regionalen Sinne wie z.B. das Königreich von Lichtenstein. Das
Königreich Gottes ist vielmehr ein "verbales Hauptwort": es geht bei
diesem Begriff um die Handlung, um das, was der König tut. Wenn
Jesus vom Königreich Gottes redet, so bezieht er es auf sich als den
König. Jesus geht es also bei der Rede vom Königreich Gottes darum:
inwiefern lässt du ihn König sein in deinem Leben, inwieweit herrscht
er? Jesus sagt: "Nicht jeder der 'Herr Herr' sagt, geht ins ewige Leben"
(Matthäus 7,21), welches das alleinige "Lippenbekenntnis" meint. Statt
dessen ist es wichtig, ihn König sein zu lassen in unserem Leben. Wenn
Jesus seine Jünger lehrt: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so
wird euch dies alles hinzugefügt" (Matthäus 6,33), so meint er:
wenn er König ist in deinem Herzen und Leben, wenn er die Herrschaft
hat, dann sorgt er sich auch um all die anderen Bedürfnisse.
Die Einheit von Altem und Neuem Testament
Jesus sagt in Matthäus 5,17: "Meint nicht, dass ich gekommen sei, das
Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen,
sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und
die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz
vergehen, bis alles geschehen ist."
Bei seiner Versuchung in der Wüste zitierte Jesus Schriftworte aus dem
Alten Testament (AT). Er und die Apostel hatten nur das AT und predigten
daraus!
Die Kirche hat das AT allegorisch gedeutet, spiritualisiert, typologisiert.
Die Rückkehr der Juden in ihre alte Heimat im 20.Jh. hat jedoch gezeigt,
das die Prophetien des AT durchaus wörtlich zu verstehen sind.
Das Neue Testament ist ein jüdisches Buch
Außer dem Doppelwerk von Lukas wurde das Neue Testament von Juden geschrieben.
Obwohl es in griechischer Sprache verfasst ist, zeigt es viele "Hebraismen",
hebräische Denkweisen. Die Kenntnis des hebräischen Hintergrunds
und Denkweise des NT kann hilfreich sein für das Verständnis desselben.
Beispiel: Matthäus 6,22-23: Was bedeuten diese Verse? Sie scheinen nicht
so recht in den Kontext (Zusammenhang) von Kapitel 6 zu passen, wo es um
Finanzen geht. Der Ausdruck "klares Auge" ist eigentlich falsch übersetzt.
Dahinter steht ein Hebraismus, ein feststehender hebräischer Ausdruck,
der sowohl damals als auch heute im Neuhebräischen wohl bekannt ist:
ayin tova, das heisst soviel wie: "ein grosszügiges Auge". Dafür
gibt es kein griechisches Äquivalent, und deshalb wird dieser Vers falsch
übersetzt. In Sprüche 22,9 hingegen wird er richtig übersetzt:
ein "gütiges" Auge, das dem Armen gibt. Warum wird er im AT richtig übersetzt
und im NT nicht? Die Vorstellung dass hinter dem NT eine hebräische
Weltanschauung und Ausdrucksweise liegt, scheint den meisten Bibelübersetzern
fremd zu sein. Was Jesus in Mt 6 sagen will: wenn du grosszügig bist,
gibst, bist du voller Licht, wenn du aber geizig, knausrig bist, so bist
du voller Finsternis. Der Textzusammenhang mit dem was vor und nach dem Text
steht bestätigt das ganz klar, da es hier um Geld bzw. materiellen Besitz
geht.
Jesus und die Urgemeinde lebten als Juden
Jesus war Jude: "Von den Juden kommt Christus her nach dem Fleisch, der da
ist Gott über alles" (Römer 9,5). Jesus ist Jude und wir als Jude
wiederkehren. In Offb 22,16 sagt er: "Ich, Jesus ... bin die Wurzel und das
Geschlecht Davids,der glänzende Morgenstern." Der evangelische Theologe
Karl Barth (1886-1968) sagte: "Jesus war notwendig Jude... Gott wurde Mensch
im jüdischen Fleisch."
Jesus trug Schaufäden (hebräisch "Zizit"; Lukas 8,44: die blutflüssige
Frau "rührte die Quasten = Schaufäden seines Gewandes an"; vgl.
5.Mose 22,12) ganz so wie viele orthodoxe Juden heute. Jesus und Paulus sind
zu allen wichtigen jüdischen Festen nach Jerusalem gepilgert - ganz
wie die jüdische Tradition es vorsah.
Die Jerusalemer Urgemeinde pflegte weiter ihr jüdisches Leben - so berichtet
die Apostelgeschichte von ihrem täglichen Gebet im Tempel (2,46).
Im Urchristentum bestand das Problem nicht im Halten der jüdischen Gebote
durch Judenchristen, sondern in der Beziehung Juden- und Heidenchristen (vgl.
Apostelkonzil Apostelgesch. 15). Hier hat Paulus in seiner Auseinandersetzung
mit Petrus die Beziehung der Judenchristen zur weltweiten Gemeinde Jesu über
ihre Beziehung zum Volk Israel gesetzt (Galather 2,11-21).
Tora - Gesetz oder Weisung?
Paulus sagt über Juden- und Heidenchristen: jeder soll in seinem Stand
bleiben (1Kor 7,18). Heidenchristen müssen keine Juden werden, genauso
müssen Judenchristen ihr Judentum nicht ablegen.
Probleme beim Thema "Gesetz": Judaisierung zur Zeit des Neuen Testamentes,
scheinbar gesetzeskritische Äußerungen von Paulus. Paulus kritisierte
aber nicht die Tora als solche, sondern einen falschen Umgang mit ihr: das,
was die Menschen aus der Tora gemacht haben, sie als einen Weg zu Gott und
zur Gerechtigkeit vor ihm zu nehmen. Er kritisierte, wo die Tora den Heidenchristen
aufgezwungen wurde: diese müsst ihr für eure Gerechtigkeit einhalten.
Es gibt auch eine begriffliche Schwierigkeit: Tora heißt in erster
Linie nicht Gesetz, sondern Weisung, Tora also als Wegweiser für ein
erfülltes Leben und Zusammenleben. Die Worte "morä" = Lehrer; "horim"
= Eltern kommen von dem gleichen Stamm wie Tora. Unterweisung ist also gemeint.
Jesus als von Gott gewordene Weisung. In der Übersetzung "Gesetz" bekam
die Tora einen negativen Klang. Wir sagen normalerweise nicht jeden Morgen:
"Wie lieblich sind mir deine Verkehrsordnungen". "Gesetz" hat für uns
einen negativen Klang, es ist zwar etwas Notwendiges, aber auch Unangenehmes.
Zusammenfassung
Wir können in der Kirchengeschichte erkennen, dass häufig da, wo
eine Kirche sich bewusst von Teilen ihrer jüdischen Wurzeln getrennt
hat, in der Folge in irgendeiner Weise ein Defizit eintrat, und gewordene
Freiräume von widergöttlichen Prinzipien (z.T. aus der griechischen
Philosophie) gefüllt wurden - Beispiele sind die Leibfeindlichkeit in
der katholischen Kirche (Zölibat) und der einseitige Intellektualismus
in der lutherischen Kirche, der sich in rein intellektuellem Glaubensverständnis
und rein akademischer Pfarrerausbildung zeigt.
Wo hingegen die hebräischen Wurzeln wiederentdeckt wurden,
da wurden oft diese Defizite wieder ausgebügelt (Beispiel: Zinzendorf
hatte ein sehr positives Verhältnis zu den Juden, und seine Gemeinschaft
feierte sehr viele Feste - nicht als weltliche, sondern als religiöse.)
Wir haben auch gesehen, wie groß die Unterschiede sind
zwischen dem hebräischen und dem griechischen Denken, und wie sehr wir
geprägt sind vom griechischen Denken. Daher kann es uns mehr in den
Segen Gottes bringen, wenn wir uns wieder mehr an unsere hebräischen
Wurzeln anhängen. Das geschieht durch messianisch-jüdisches Liedgut,
durch das Feiern von Festen, durch den Kontakt mit messianischen Juden und
viele weitere Wege. Wir müssen nicht anfangen das jüdisches Gesetz
zu halten - jeder soll in seinem Stand bleiben, so sagt es Paulus. Aber wir
können das reiche Erbe entdecken, das wir in unseren jüdisch-hebräischen
Wurzeln haben!
Deshalb ist es hilfreich, Unterschiede zwischen der griechischen
und der hebräischen Anschauung zu erkennen.
Die griechische Lebensweise ist stark vom Intellekt geprägt und von
einem Dualismus Geist/Materie. Wichtig ist, wie etwas aussieht.
Die hebräische Lebensweise ist praktisch orientiert und besteht in der
ständigen Beziehung zu Gott. Gott ist nicht fern im Himmel, von dem
man nur durch komplizierte und auf lateinisch gesprochene Dogmen hört,
sondern er hat sehr viel mit dem Hier und Jetzt zu tun und wird im Alltag
erfahren. Bei den Hebräern war das ganze Leben Gottesdienst, Feste waren
immer religiös, immer eine Aussonderung vom Alltag für Gott und
sie wurden eifrig gefeiert. Unsere Unterscheidung Gottesdienst - "weltliche
Feiern" gab es bei ihnen nicht. Dinge wie Freizeit, Urlaub gab es nicht -
die Beziehung zu Gott hat den gesamten Alltag durchdrungen. Wichtig ist gemäß
hebräischer Anschauung, wofür etwas da ist, wie es benutzt werden
kann.
Also nochmals kurz und prägnant: der Grieche ist der Theoretiker,
der Philosoph und Denker, der Hebräer ist der Praktiker, dem es vor
allem darum geht, Gottes Wort zu tun, alles erkannte praktisch anzuwenden.
Wir in Deutschland sind sehr stark geprägt von der griechischen
Mentalität. Die Deutschen - das ist bekanntlich das Volk der "Dichter
und Denker". Das mag auch durchaus die Berufung Gottes für uns sein.
Aber wenn wir Deutschen wieder mehr an die jüdischen Wurzeln angepfropft
werden, dann werden wir wieder einen ausgewogeneren Lebensstil finden. Wenn
unser "Dichten und Denken" mehr in der innigen Beziehung zu Gott, mehr unter
der Herrschaft Gottes geschieht, dann kann seine Berufung wahrhaft durchkommen.
Griechisches Denken |
Hebräisches Denken |
erkenne dich selbst (gnothi seauton) |
Erkenntnis Gottes (daat elohim),
Beziehung zu Gott |
Dualismus Materie-Geist, materielle
Welt ist schlecht |
materielle Welt ist gefallen und
unerlöst, aber von Gott geschaffen. |
Denken, Verstehen u. rationale Erkenntnis
der Welt (Erkenntnis bläht auf) |
Glaube, prakt. Lebensvollzug in
der Furcht Gottes (Liebe erbaut) |
Studieren: ist nur für die Reichen,
ist Wissen aneignen, wichtig: wie funktioniert die Welt? |
Studieren: ist für jeden, demütigt,
führt tiefer in Beziehung zu Gott, wichtig: was will Gott von mir |
Studieren: akademische Wissensvermittlung |
Studieren: Rabbi verbringt viel
Zeit mit den Schülern |
Wahr ist das, was man sieht. |
Die sichtbaren Dinge sind nur ein
Zeichen für die Eigenschaften ihres Bildners. Wahrheit heißt das
Unwesentliche und Äußerliche vom wesentlichen zu unterscheiden. |
AUSWIRKUNGEN
Dadurch, dass sich die Kirche von ihren jüdischen Wurzeln
löste, entstand ein Vakuum und es konnte in sie Vieles einströmen,
das ihr geistlich sehr geschadet hat und sie von Gott weg brachte.
In dieses Vakuum sind eingeströmt: Heidentum (Heiligenverehrung,
Ostereier etc.) und die griechische Philosophie (Humanismus/Hellenismus)
Praktische Auswirkungen davon lassen sich noch heute vielfältig beobachten:
- Viele heidnische Praktiken sind noch heute in unseren Kirchen und der
Alltagsfrömmigkeit.
- Die Pfarrerausbildung geschieht an der Universität in einem rein
wissenschaftlichen Studium, in welchem dem angehenden Pfarrer reines Wissen
vermittelt wird aber kein Lebenswandel gelernt und eingeübt wird.
- Die pietistisch-charismatische Diskussion ist geprägt von der
Frage, ob Gott sich nur um unser Seelenheil kümmert (geistige Ebene)
oder ob er auch unseren Körper heilen kann (physische Ebene).
- Israel hat keine irdisch-materiellen Verheißungen Gottes mehr,
die Rückkehr und Wiedereinnahme des Landes Israel hat mit der Bibel
nichts zu tun - es gibt ja nur die geistige Ebene (Errettung der Juden).
Die Sicht von Israel und Gottes (Un)heilsplan mit Israel wurde stark durch
das griechische Denken geprägt. Da die Verheißungen an Israel
die irdische Ebene genauso betrafen wie die geistliche Komponente, wurde
Israel enterbt - die irdische Ebene fiel dem Geist-Materie-Dualismus zum
Opfer. Das Land Israel hatte nur noch eine Bedeutung als Wallfahrtsort für
die Christen, und dafür wurden sogar Kreuzzüge unternommen - aber
für die Juden hatte es keine Bedeutung mehr. Aus Antijudaismus (Lösung
vom Judentum) wurde schnell Antisemitismus (Juden verfolgen)
- Den Umgang mit Familie und dem Alter sowie das Zölibat der Priester
habe ich oben erwähnt.
Von unseren jüdischen Wurzeln können wir einiges lernen: Dass in
der Erziehung nicht nur Gabenförderung da sein soll, sondern genauso
wichtig die Charakterförderung ist (Jüngerschaft). Dass die Familie,
das Alter und alltägliche Dinge für Gott einen hohen Stellenwert
haben.
Gedanken:
1.) Diese Ausführungen über die Hebräische Lebensweise sollen
nicht suggerieren, jeder müsste jetzt einen Sozialdienst anfangen und
Obdachlose aufnehmen - jeder hat von Gott eine anderer Berufung. Wichtig ist
aber, die anderen Berufungen anzuerkennen und die eigene Prioritätensetzung
nicht zu verabsolutieren. Der eine ist eben mehr für das geistliche Wohl
der Menschen besorgt, der andere mehr um das psychisch-soziale. Solange es
aus Gottes Willen und Kraft und nicht in menschlicher Kraft geschieht, wird
das Königreich Gottes ausgebreitet.
2.) Wenn ich hier das hebräische Denken als ganzheitlicher im Vergleich
zum Griechischen dargestellt habe, so will ich damit dasselbe nicht in die
fernöstliche Ecke stellen. Die fernöstliche, asiatische Sicht denkt
in Kreisläufen, die hebräische dagegen auf ein Ziel gerichtet,
endzeitlich (eschatologisch). Aber eben nicht dualistisch wie die griechische.
Praktische Anwendung:
Wir müssen anerkennen, dass unsere wahren und guten Wurzeln im Judentum
und jüdischen Volk liegen. Wir haben erkannt, dass die Kirche immer wieder
diese Wurzeln abgestreift und viel ungutes Gedankengut aufgenommen hat. Deshalb
ist es wichtig für uns, unser jüdisches Erbe "wiederzuentdecken",
darin zu graben und zu forschen und so gesegnet zu werden und in unser Erbe
zu kommen. Das Feiern jüdischer Feste kann ein gutes Mittel sein, um
uns und andere auf eine Spaß machende Weise zu unseren jüdischen
Wurzeln hinzuführen.
LITERATUR:
Chuck Cohen: Wurzeln unseres Glaubens. ISBN 3-88002-645-9
Marvin R. Wilson: Our father Abraham. ISBN 0-8028-0423-3 / ausgezeichnet!!
Clarence Wagner: Lessons from the Land of the Bible.
Bridges for Peace
Dwight A. Pryor: Die jüdischen Wurzeln unseres Christlichen Glaubens.
2 Audio-Alben, Christl. Freunde Israels
Altensteig / geistlich sehr wertvoll!
Yeshua. Israel-Video mit Jürgen Werth. ERF-Verlag Wetzlar
www.hebroots.org
verfasst im Juni 2000 von Andreas Hornung, überarbeitet
am 15.07.01
© Andreas Hornung, www.segne-israel.de
.
.
Israel-Grundkurs
|