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Auf Terror reduziert

Von Roland Schatz / Die Welt, 12.12.01

Bonn - Auf der Suche nach Friedenslösungen sehen sich Politiker immer öfter mit einer öffentlichen Stimmung konfrontiert, die nicht bereit ist, mühsam ausgehandelte Kompromisse zu akzeptieren. Woher kommt der Extremismus? In erster Linie von der medialen Berichterstattung. Denn was bekommen die Menschen in Amerika, England, Deutschland oder Südafrika zu sehen, wenn sie aufmerksam die Nachrichten aus Israel verfolgen? Auf der einen Seite unendliche Facetten ungehemmter Gewalt, auf der anderen Seite Volksvertreter, die entweder polarisieren oder Selbstverständlichkeiten ("wir müssen wieder miteinander reden") von sich geben. Etwas anderes scheint nicht berichtenswert.

Wäre diese Nachrichtenselektion richtig, müssten die Menschen zwischen Haifa und Eilat ihr ganzes Leben in Schützengräben verbringen. Dagegen stehen die Berichte, dass der Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident eine Delegation Bonner Forscher nach Israel begleitet hat, weil dort auf dem Gebiet der Stammzellenforschung international Einmaliges zu besuchen ist. Wer amerikanische Zeitungen liest, stößt regelmäßig auf Hinweise, dass ohne die IT-Experten vom Mittelmeer diese Branche kaum zu der Leistungsfähigkeit herangewachsen wäre, die heute der Motor aller westlicher Demokratien ist. Und nicht zuletzt: in der Kultur, ob Musik oder geschriebenes Wort, geht nichts ohne die Artisten aus Jerusalem und Umgebung.

Ein Widerspruch? Ja. Aber der gleiche, dem Deutsche begegnen, die in den USA leben und den Amerikanern angesichts der auf das Dritte Reich reduzierten Berichterstattung über die Bundesrepublik verzweifelt zu erklären versuchen, dass erstens Hitler nicht mehr regiert, zweitens Bonn nicht in Afghanistan liegt und drittens die Menschen zwischen Rhein und Oder in der Regel nicht jeden Menschen anderer Hautfarbe zu Tode schlagen.

Woher die auf Katastrophen reduzierte Auslandsberichterstattung kommt, ist noch nicht erforscht. Sie ist jedoch ein globales Phänomen. Egal ob die US-Stationen ABC, CBS oder NBC, ob die englischen BBC oder ITN oder die deutschen ARD, Pro 7, RTL, SAT 1 oder ZDF: Alle diese exklusiv für den 3. Europäisch-Israelischen Dialog des Springer Verlages (die WELT berichtete) untersuchten Networks bevorzugten im Untersuchungszeitraum 1.1.97 bis 31.8.01 Terror, Kriege, Unfälle und Umweltkatastrophen, wenn es darum ging, über fremde Länder zu berichten. Die Israel-Berichterstattung spielt in diesem Sinne zwar keine Sonderrolle, aber es fällt auf, dass zum Beispiel die Negativ-Berichte im deutschen Fernsehen immer dann zunahmen, wenn dort Regierungschefs an die Macht kamen, die laut Berichterstattern von ARD oder ZDF nicht hätten gewählt werden sollen. Eine Grafik des Forschungsdienstes Medien verdeutlicht den jeweils höheren Anteil an negativer Berichterstattung über Israel unter Netanjahu (1996-99) sowie jetzt unter Scharon (seit 2000) im Vergleich zum eher gelittenen Barak (1999-2000). Dass diese Nachrichtenauswahl Konsequenzen hat, zeigt die Zu- beziehungsweise Abnahme an Touristen aus Deutschland, die sich in den letzten fünf Jahren auf die Reise ins gelobte Land machten - oder eben nicht.

Reisen bildet - so das deutsche Sprichwort. Wer nicht nach Israel fährt, wird kaum als Botschafter zurückkehren. Botschafter aus einem Land voller Zerrissenheit, voller Initiative, voller Vorbilder. Auf engstem Raum müssen Menschen unterschiedlichste Kulturen ertragen und zu einem Konsens finden. Der gemeinsame Glaube muss Lebensgewohnheiten aus Afrika, Russland, Europa, Amerika aushalten, Menschen tolerieren, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören. Von dem Gelingen oder Nicht-Gelingen könnten auch andere lernen.

Ein anderes deutsches Sprichwort lautet: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Den Journalisten sei unterstellt, dass sie mit ihrer Reduktion der Berichterstattung über Israel auf die Schrecken aufmerksam machen wollen. Aber mit dem Ausblenden der anderen Lebenswirklichkeiten aus Israel verpassen sie nicht nur den Auftrag, die gesamte Medaille zu zeigen, sondern tragen im Sinne der Self-Fulfilling-Prophecy dazu bei, dass ein Land und seine Menschen auf Inhalte reduziert werden, was viele Wähler in Europa und USA ihre besondere Verantwortung gegenüber Israel negieren lassen könnte. Der bösartige Vergleich zwischen den Machthabern im Dritten Reich und denen in Israel wurde Ende der sechziger Jahre von den so genannten Intellektuellen der linken Szene kultiviert. In den letzten Jahren könnte die selektive Berichterstattung solch sektiererischen Irrsinn zur Mehrheitsmeinung machen.
 

Roland Schatz ist Chefredakteur des Forschungsdienstes Medien Tenor