Der Römerbrief ist sozusagen ein theologisches Manifest von
Paulus. Drei von den 16 Kapiteln verwendet er für das Thema Israel.
Das Thema wird sonst im Neuen Testament nicht so eingehend besprochen,
nur in diesem Brief, der an den Ort ging, der später zum Zentrum der
Christenheit wurde.
Wir beginnen mit Römer 9,1-3: "Ich sage die Wahrheit in Christus,
ich lüge nicht... daß ich große Traurigkeit habe und unaufhörlichen
Schmerz in meinem Herzen, denn ich selbst, ich habe gewünscht, verflucht
zu sein von Christus weg für meine Brüder, meine Verwandten nach
dem Fleisch, die Israeliten sind."
Wie Mose ist Paulus bereit, sein eigenes Leben zugunsten seines Volkes
Israel hinzulegen. Paulus beginnt seine Ausführungen über sein
eigenes Volk Israel mit dem Ausdruck seines großen Schmerzes. Wir
werden später sehen, wie Paulus seine Ausführungen beendet -
Gott ist gut!
Aber warum ist er so traurig? Schauen wir in V. 4 und
5: "...deren die Sohnschaft ist und die Herrlichkeit und die Bündnisse
und die Gesetzgebung und der Dienst und die Verheißungen, denen die
Väter sind und aus denen dem Fleisch nach der Christus ist."
Sohnschaft: Hier redet Paulus ganz bestimmt nicht vom Zustand
Israels, sondern von der Einstellung Gottes seinem Volk gegenüber:
Israel wird öfters Gottes erstgeborener Sohn genannt (2 Mo 4,22; 5Mo
14,1 Hos 11,1). Das beinhaltet natürlich auch Verpflichtungen (5.Mose
14,1-2: ein "heiliges Volk dem Herrn").
Herrlichkeit: Gott wohnt in Israels Mitte. Bündnisse:
Der Abrahamsbund ist bedingungslos. Verheißungen: die meisten
Christen beziehen die biblischen Verheißungen direkt auf sich und
denken dabei gar nicht an Israel. Paulus denkt anders: er sagt, die Verheißungen
gehören Israel. Und dann in zweiter Linie natürlich auch uns.
Interessant: Paulus sagt nicht: ihnen WAREN die Bündnisse und
die Sohnschaft etc, wie es die Theologen nach ihm sagten. Nein, Paulus
sagt, ihnen SIND all diese herrlichen Dinge Gottes. Also, warum ist er
traurig? Das zeigt er in 9,30-10,3: V. 2: sie haben es nicht erkannt. Sie
haben diese Dinge, aber haben es nicht erkannt.
Sie haben den falschen Weg eingeschlagen, den des Gesetzes. Paulus
sagt anderswo, daß das Gesetz nichts Schlechtes ist. Aber als Weg
zu Gott, zur Gerechtigkeit, zur Annahme von Gott ist es, so Paulus unfähig.
Dieser Weg ist der Glaube, und einige aus den Nationen wie auch aus Israel
haben diesen Weg ergriffen.
Deshalb ist Paulus traurig und sagt: "mein Flehen für
sie zu Gott ist, daß sie errettet werden" (Röm 10,1).
[Diagramm 1 + 2]
"Hat Gott sein Volk verstoßen"? Fragt er. Und vielleicht
haben einige ihn das gefragt. "Das sei ferne!" (Röm 11,1)
Die Diskrepanz von Israels Verheißung und Zustand
kommt daher, daß Gott einen Großteil Israels für Jesus
und das Evangelium verschlossen hat (11,4-10). Paulus geht weiter: durch
diesen Verschluß konnte das Evangelium überhaupt zu den Heiden
gelangen. Paulus ging immer erst in die Synagoge, und wenn sie ihn dort
nicht wollten, ging er zu den Heiden. Israels Berufung ist, ein Segen und
Licht für die Nationen zu sein. Selbst in seiner Verstockung ist es
dieser Berufung treu.
Um diesen ganzen Vorgang zu beschreiben, gebraucht Paulus
ein Bild, und zwar das des Ölbaums.
[Foto Ölbaum]
Den Ölbaum kennen wir in unserer Kultur nicht. In Israel ist er
jedoch sehr wichtig für Nahrung, Licht und Salböl. Ein Ölbaum
kann nicht zerstört werden. Auch wenn er gefällt oder verbrannt
wird, können bis zu fünf mal neue Zweige aus seinem Stumpf hervorkommen.
Der Ölbaum wird mehrere hundert Jahre alt. Den Ölbäumen
im Garten Gethsemane wird ein Alter von fast 2000 Jahren zugeschrieben.
Als die Sintflut beendet war, kam die Taube mit einem Ölbaumzweig
zurück. Der Ölbaum hatte die Flut und das Gericht Gottes überstanden.
Psalm 52,10.
Hat Paulus bewußt den Ölbaum als Vergleich
für Israel gewählt?
Und Paulus geht weiter: Diese Verstockung ist nur zeitweise.
Gott kann sie wieder zurückbringen und er wird es auch. Schlußendlich,
so Paulus, wird Israel als Volksganzes errettet werden (11,26).
[Diagramm 3]
Gott hat zuerst an und mit den Juden gehandelt
- von Abraham bis Jesus. Dann hat er sie für eine gewisse Zeit beiseitegestellt
(außer dem Überrest) und handelt hauptsächlich an den Heiden.
Aber die Zeit dafür ist begrenzt, und es kommt nach der Bibel auch
wieder eine Zeit, wo Gott verstärkt wieder seine Hand auf Israel legt
und an Israel wirkt.
Israel war seiner Berufung treu in der Verstockung. Und
in seiner Wiederannahme wird diese Berufung zur Erfüllung kommen (Rö
11,15).
Römer 9-11 endet mit einem langen Lobpreis (11,33-36). Paulus
begann seine Ausführungen über Israel mit einem großen
Schmerz, und er beendet sie mit einem Lobpreis Gottes.
© Andreas Hornung, www.segne-israel.de